COVID-19 Tracker: Fernarbeit – Zeit- und Produktivitätsgewinne bedeuten mehr Gelegenheit, sich auf kreatives Denken und komplexe Aufgaben zu konzentrieren.
Die Betriebe kehren langsam wieder zum Normalbetrieb, also der Arbeit vor Ort, zurück. Wie stark beschäftigt sie ihr aktuelles Produktivitätsniveau? Welche Nachteile und potenziellen Vorteile haben sie seit der Umstellung auf die Telearbeit erfahren? In diesem neuesten Artikel stellen wir fest, dass es zwar zahlreiche Produktivitätsherausforderungen gegeben hat, viele Unternehmen jedoch interessante Möglichkeiten sehen, die sich aus der Fernarbeit ergeben.
Produktivität stellt derzeit ein Hauptanliegen der Unternehmen dar
Die Daten aus unserer jüngsten Forschungswelle zeigen, dass sich Unternehmen weltweit mit der “Fähigkeit zu flexibler Arbeit” intensiv beschäftigen. Dabei steht die Produktivität von Kollegen und Mitarbeitern ganz oben auf der Liste. Mehr als vier von zehn Entscheidungsträgern geben an sich “ziemlich” oder “extrem” mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Das Thema steht somit an erster bzw. zweiter Stelle aller betrieblichen Belange, nach denen wir seit der zweiten Maiwoche gefragt haben.
Während die Produktivität derzeit ein dringendes Anliegen für alle Unternehmen ist, wird die Last, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer aktiv und fleißig bleiben, nicht in allen Regionen gleich stark empfunden. Die Produktivität von Kollegen und Mitarbeitern scheint insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum ein Thema zu sein, mit dem sich Unternehmen “ziemlich” oder “extrem” auseinandersetzen (53 %). Im Gegensatz dazu scheinen Betriebe in Nord- und Südamerika sich deutlich weniger damit zu befassen – lediglich ein Drittel (33 %) gaben an, dass sie sich damit “ziemlich” oder “extrem” befassen.
Dies spiegelt die verschiedenen Stadien der Pandemie wider, in denen sich diese Regionen derzeit befinden – wobei sich der asiatisch-pazifische Raum in einem deutlich fortgeschrittenen Stadium der Krise befindet als die anderen Regionen. Dies deutet darauf hin, dass die Produktivität ein anhaltendes Problem bleiben könnte, während wir uns auf dem Weg zur Erholung befinden.
Gründe zur Besorgnis: Negative Auswirkungen auf die Produktivität
Um die Gründe für diese starke Auseinandersetzung mit dem Thema Produktivität zu verstehen, haben wir die Unternehmen nach einer Reihe von negativen Auswirkungen befragt, die sie seit Anfang Mai in ihrem Geschäft erfahren haben. Außerdem fragten wir danach, wie stark sich diese Auswirkungen gezeigt haben.
Die obigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Produktivitätsprobleme durch eine Reihe von Faktoren bestimmt werden. Insgesamt gaben 95 % der betroffenen Entscheidungsträger an, dass mindestens eines der oben aufgeführten Produktivitätsprobleme ihre Geschäftstätigkeit in gewissem Maße beeinträchtigt hat. Der Prozentanteil der Befragten, die irgendwelche Auswirkungen dieser Probleme auf ihr Geschäft erfahren haben, liegt bei Großunternehmen (mit 250 oder mehr Beschäftigten) höher als bei den KMUs (< 250 Beschäftigte).
Was waren demzufolge die Hauptthemen?
Die wichtigsten Herausforderungen für die Produktivität
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Motivation – Probleme mit der Moral und Motivation des Personals stehen in Bezug auf Verbreitung und Auswirkung des Virus an erster Stelle der Liste, wobei fast 8 von 10 (78 %) dieses Problem anführen. Es überrascht nicht, dass die Moral der Mitarbeiter als Problem gesehen wird. Hier muss man sich nur den Druck vergegenwärtigen, den viele Beschäftigte bei der Abwägung zwischen beruflichen Pflichten und dem Bestreben sich und ihre Angehörigen vor den Auswirkungen von Corona zu schützen ausgesetzt waren. Der durch die wirtschaftliche Unsicherheit initiierte Kündigungsschutz dürfte zu der Sorge der Betriebe beitragen.
Die Tatsache, dass dieses Thema ganz oben auf der Liste der Herausforderungen hinsichtlich Produktivität steht, sollte Organisationen nachdrücklich daran erinnern, dass sie nur so stark sind wie ihre Mitarbeiter: Das psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter zu einer obersten Priorität zu machen, dürfte in Zukunft im Zusammenhang mit Produktivität noch stärker in den Mittelpunkt rücken.
Der Notwendigkeit, sich mit der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter zu beschäftigen und diese zu unterstützen, kann zum Teil durch ein wachsendes Angebot an mobilen Anwendungen für psychische Gesundheit und Therapie begegnet werden. Unternehmen können ihre Mitarbeiter zu deren Nutzung ermutigen. Dazu gehören Apps wie “Kite” und “Talkspace” sowie andere Hilfsmittel und Ressourcen für die psychische Gesundheit. Ein weiteres Beispiel hierfür ist das kostenlos herunterladbare Lernkartenset „Innen Leben” das kürzlich von einem Psychologen und Psychiater in Deutschland entwickelt und kostenlos zur Verfügung gestellt wurde.
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Auslastung – Genügend Arbeit zu haben, um alle Mitarbeiter während des gesamten Arbeitstages zu beschäftigen, stellt für etwa zwei Drittel (66 %) der Unternehmen ein Problem dar. 1/3 der Befragten sind der Meinung, dass dies auch große negative Auswirkungen nach sich ziehen wird.
Regierungen und Unternehmen ziehen daher Initiativen wie Kurzarbeit in Erwägung. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hat vor Kurzem die Idee einer nationalen Vier-Tage-Woche vorgestellt, die sowohl zur Förderung des Inlandstourismus als auch zu einer besseren und gesünderen Work-Life-Balance der Arbeitnehmer im Zuge der globalen Krise beitragen soll.
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Ablenkung – „Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Kinderbetreuung“ und „allgemeine Ablenkungen zu Hause“ sind wichtige und miteinander verbundene Themen. Die Verschmelzung von Arbeit und Privatleben bringt alltägliche Ablenkungen mit sich, die sich auf die Arbeitszeit auswirken. Ob es der Lieferant ist, der an der Tür klingelt, Bauarbeiter, die in der Nähe den Presslufthammer betätigen, oder vierbeinige Mitbewohner die über die Tastatur huschen- praktisch jeder hat es schwerer, konzentriert und engagiert zu bleiben, wenn er sich nicht in seinem gewohnten Arbeitsumfeld befindet. Angesichts der sich stark unterscheidenden Bedingungen unter denen Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten müssen, stehen viele Firmen vor der Herausforderung, eine übergreifende Strategie zu entwickeln, um das Problem zu entschärfen.
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Überwachung – Die Unfähigkeit, Mitarbeiter zu überwachen und zu führen, stellt den vierten und letzten großen Produktivitätsnachteil dar, mit dem die Arbeitswelt zu kämpfen hat. Dieses Hindernis kann es Führungskräften erschweren, effektiv an ihre direkten Mitarbeiter zu delegieren und diese zu kontrollieren. Es verschärft auch direkt die beiden zuvor diskutierten Probleme der Ablenkung und (mangelnden) Auslastung, da Führungskräfte abgelenkte Mitarbeiter nicht mehr „auffangen“ und neu ausrichten können und die Arbeitslast nicht mehr optimal verteilt werden kann. Manager müssen heute mehr denn je in der Lage sein, in das eigenverantwortliche Handeln der Mitarbeiter zu vertrauen.
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Suboptimale Arbeitsumgebungen – Ein weniger schwerwiegendes, aber häufiges Problem der Produktivität ist das Problem suboptimaler Arbeitsumgebungen – d. h. ein Mangel an geeigneten Arbeitsräumen und/oder Geräten. Dieses Problem hat sich nur bei etwa einem Fünftel der Unternehmen mit Produktivitätsproblemen stark ausgewirkt, obwohl es bei etwa 6 von 10 Unternehmen zu einigen negativen Auswirkungen geführt hat. Zwar können die Unternehmen wenig tun, um für ein optimales Umfeld oder mehr Raum zu sorgen, in dem ihre Mitarbeiter aus der Ferne arbeiten können. Sie können aber bessere Technologie, Werkzeuge und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Arbeiten von zu Hause aus, wie man in vielen Wirtschaftssystemen erwartet, wahrscheinlich noch eine längere Zeit andauern wird.
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Zeitmanagement – Die letzte Herausforderung ist das individuelle und kollektive Zeitmanagement. Etwa 55 % der Unternehmen, deren Produktivität negativ beeinflusst wurde, berichten von einem Übermaß an Sitzungen, die zu viel Zeit in Anspruch nehmen, und/oder von langen Arbeitszeiten, die sich auf die individuelle Produktivität auswirken. Vielen Unternehmen, die mit reduziertem Personal oder unter reduzierten Arbeitszeiten arbeiten, wird es wichtig sein, darauf zu achten, ihre Mitarbeiter nicht zu überlasten. Angesichts des Drucks, dem viele Unternehmen ausgesetzt sind, ist es jedoch schwierig, dieses Gleichgewicht zu finden.
Weitere Probleme mit der Produktivität
Optimistische Betrachtung: Positive Auswirkungen auf die Produktivität
So bedrohlich die Situation im geschäftlichen Umfeld auch erscheinen mag, so haben die wirtschaftlichen Entscheidungsträger in den letzten Wochen dennoch eine Reihe positiver Auswirkungen auf die Produktivität in ihren Betrieben erkannt.
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Zusätzliche Zeit bedeutet mehr Zeit zum Nachdenken und für Kreativität: Erstens hatten die Arbeitnehmer den Vorteil, mehr Zeit für ihre Arbeit zu verwenden, nicht zuletzt aufgrund der Zeitersparnis durch nicht erfolgte Geschäftsreisen und dem Wegfall des täglichen Pendelns zur Arbeit. Weniger Zeit mit Pendeln zu verbringen hatte bei mehr als vier von zehn Betrieben große Auswirkungen (42 %) und bei etwa drei Vierteln (74 %) zumindest eine geringe Auswirkung.
Die Tatsache, dass sie nun mehr Zeit und Raum für sich selbst haben, hat es den Arbeitnehmern ermöglicht, mehr Gedanken und Kreativität in ihre Ergebnisse und Leistungen zu stecken. Etwa 3 von 10 (29 %) berichteten von großen Vorteilen, wobei etwa zwei Drittel (68 %) der befragten Unternehmen angaben, dass dies zumindest eine gewisse Wirkung gehabt habe.
Mehr Zeit führt natürlich nicht immer zu mehr Produktivität – insbesondere die Tatsache, dass zu Beginn und am Ende des Arbeitstages ein erheblicher Teil zusätzlicher Arbeitszeit gewonnen werden konnte, dürfte in dieser Hinsicht jedoch hilfreich gewesen sein.
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Zusätzliche Flexibilität: Viele Arbeitnehmer konnten in letzter Zeit auch bezüglich der Festlegung von Arbeitszeiten und -muster flexibler sein. Etwa ein Drittel (34%) unserer Stichprobe nannte dies eine große positive Auswirkung, und noch mehr (39%) gaben an, dass sich dies in den letzten Wochen geringfügig positiv auf ihr Unternehmen ausgewirkt habe. Auch die damit eng verbundene Frage der Änderung von Routinen wurde von 25% als großer Vorteil genannt.
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Zusätzliche Verantwortlichkeiten: Ein dritter und eindeutiger Vorteil, dem mehr als die Hälfte (56 %) einen positiven Effekt auf die Produktivität zuerkannten, ist die zusätzlich gewonnene Erfahrung im beruflichen Umfeld- d. h. die Mitarbeiter werden aufgefordert, eine größere Vielfalt an Aufgaben als normal zu erledigen. Theoretisch wird die Produktivität steigen, wenn Unternehmen eine größere Aufgabenvielfalt mit den gleichen oder weniger Ressourcen erledigen können. Ein Vorbehalt hierbei ist, dass es immer noch Zeit- und Produktivitätskosten verursachen kann, wenn Einzelpersonen gebeten werden, neue Prozesse zu erlernen oder zusätzliche Verantwortung zu übernehmen. Sie werden zusätzliche Zeit benötigen, um diese neuen Fähigkeiten zu erlernen, und selbst dann sind sie möglicherweise nicht so effizient wie diejenigen, die sich zuvor auf diese Aufgaben spezialisiert hatten.
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Mehr Intensität und Raum zur Konzentration auf die Komplexität: Der vierte und letzte Produktivitätsvorteil seit dem Ausbruch von Corona ist der Anstieg an Intensität und Fokussierung. In vielen Arbeitsbereichen scheint die Abgeschnittenheit des Tele-Arbeitsplatzes die Fokussierung auf die eigentliche Arbeit verbessert zu haben. Während dieser Nutzen nur von etwa einem Fünftel aller Betriebe als wesentlich positive Auswirkung angesehen wurde, lag der Wert bei Technologieunternehmen deutlich höher – hier gaben 33 % an, dass die Auswirkungen groß waren. Dies steht in engem Zusammenhang mit Softwareentwicklung oder Codierungsaufgaben.
Insgesamt stellen diese Ergebnisse eine Reihe von vielschichtigen und gegenläufigen Auswirkungen auf die unternehmerische Produktivität dar. Die Fähigkeit von Organisationen, ihre Arbeit zu erledigen, wurde durch Fragen der Motivation, Beschäftigung, Ablenkung und Überwachung beeinträchtigt. Gleichzeitig haben Unternehmen viele Produktivitätsgewinne verzeichnet, weil ihre Belegschaft die Vorteile von zusätzlicher Zeit, Flexibilität, Erfahrung und Intensität nutzt.
Den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft dürften die erzwungenen Änderungen in den Arbeitsmustern starke Anhaltspunkte liefern, wie das “Produktionspuzzle” zu knacken ist, mit dem sich viele Unternehmen in reifen Volkswirtschaften bereits vor der Pandemie konfrontiert sahen.
Diese Ergebnisse stammen aus der COVID-19 Trackerstudie von B2B International. Die Grundlage bilden n=2.030 Interviews mit Geschäftsleuten aus dem klein- und mittelständischen Unternehmen sowie Großunternehmen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den USA, Kanada, China, Singapur, Australien und Japan. Die Feldarbeit wurde vom 13. April – 22. Mai 2020 durchgeführt.