Die erste Debatte der Republikaner zur US-Wahl 2016: Anschauungsunterricht für Gruppendiskussionen

Die erste Debatte der Republikaner zur US-Wahl 2016: Anschauungsunterricht für Gruppendiskussionen

Als politisch interessierte Marktforscherin habe ich mir kürzlich auf Fox News die erste Debatte der GOP Präsidentschaftskandidaten angeschaut. Mein Wissensdurst wurde wirklich gründlich gestillt mit einem Cocktail aus schauerlichen, verrückten Inhalten, versehen mit ein paar lächerlichen, wenn nicht makabren „Garnierungen“. Beispiel: „Das Militär ist kein soziales Experiment, es soll Menschen töten und Dinge zerstören.“

Die größte Überraschung allerdings war die Ansammlung der Persönlichkeiten, die im Halbkreis aufgereiht standen. Ich konnte nicht umhin diese Kandidaten sofort mit denjenigen Charakteren zu vergleichen, denen unsereins häufig in Gruppendiskussionen gegenübersitzt.

Die Moderatoren unter Ihnen werden dem ein oder anderen der folgenden sechs Typen vielleicht auch schon in einer Gruppe begegnet sein. Am Beispiel der Kandidaten der republikanischen Kandidaten erlaube ich mir, diesen „Typen“ Leben einzuhauchen. Dazu einige Tipps wie man mit solchen Persönlichkeiten in einem Research-Setting umgehen kann.

#1: Der Superstar – Donald Trump

Die dominanteste Persönlichkeit in der Debatte. Trump nutzt hemmungslos jede sich irgendwie bietende Möglichkeit seiner Meinung Ausdruck und seinem Ego Größe zu verleihen. In seinen Augen wurde diese Debatte ausschließlich für ihn initiiert. Und ganz ehrlich – er hat wahrscheinlich sogar Recht. Trump hatte weit mehr Redezeit (11 Minuten) und gesprochene Worte (1.986) als jeder andere der Kandidaten.

In den meisten Gruppendiskussionen gibt es sie – die dominante Persönlichkeit. Manchmal ragt sie auch nur wegen des schleppenden Starts der gesamten Gruppe heraus. Superstars können ausgesprochen gute Teilnehmer sein, liefern sie doch gut artikulierte Insights und helfen der Diskussion auf die Sprünge. Leider steckt dahinter aber allzu oft mehr Show als Substanz und ihre Anwesenheit kann die Gruppe beeinflussen und andere davon abhalten, sich an der Diskussion zu beteiligen.

Moderatoren sollten daher die von den Superstars eingebrachten Insights ausdrücklich loben, sie allerdings in der Folge unter Kontrolle halten und darauf achten, wesentliche von unwesentlichen Beiträgen zu trennen. Zeitweise mag es opportun sein, die Gruppe zu fragen wer zustimmt oder auch nicht und ob jemand noch etwas dazu beitragen möchte. Das lenkt vom Superstar ab und vermeidet die Verschiebung einer Gruppendiskussion hin zu einer One-Man-Show.

#2: Das Hirn – Jeb Bush

Auch mit weniger Redezeit als Trump schob sich Bush (oder Jeb, wie er in Florida genannt werden will) direkt dahinter auf die zweite Position. Wahrscheinlich haben die Zuschauer die Redezeit von Bush während der Debatte unterschätzt, denn er war zurückhaltender im Ton als die anderen Kandidaten. Vieles was er sagte war sinnvoll, aber es war damit sicher kein Preis für besonderen Wortwitz zu gewinnen.

Gruppen-Teilnehmer dieser Art erscheinen in der Regel gut vorbereitet und voller Enthusiasmus zur Diskussion. Die gute Absicht verspricht aber oft mehr als das Ergebnis ausmacht. Ein „Hirn“ ist ähnlich wie der Superstar, faszinierend und kann wertvoll für den Moderator und die Gruppe sein. Die Herausforderung ist, dass man es hier zwar mehr mit Substanz, aber weniger mit der Fähigkeit zum Ausdruck zu tun hat. Will sagen: die Insights, die das „Hirn“ bietet können in einem Gemisch aus Nervosität und Introversion untergehen. Es fehlt häufig der elegante Stil.

Moderatoren sollten das „Hirn“ zur Teilnahme an der Diskussion ermutigen, aber darauf achten, dass die Dynamik der Gruppe dabei nicht in Ausschweifungen und technischen Monologen verloren geht. Notizen und Aufzeichnungen, die das „Hirn“ mitgebracht hat, sollte besondere Aufmerksamkeit gelten, denn schnell kann sich dieses Material „verselbstständigen“.

Die besten Insights sind organisch. Der Gruppe zu folgen soll den Kunden an die relevanten Aspekte erinnern, die durch die Teilnehmer aufgezeigt werden und die von ihnen möglicherweise nicht aufgegriffen werden, wenn eine gewisse Langweile aufkommt.

#3: Die Bulldoggen – Rand Paul und Chris Christie

Paul und Christie beteiligten sich leidenschaftlich und engagiert am hitzigsten Gesprächsthema des Abends, der NSA -Abhörpraxis. Es schien fast so als sei Christie schon mit einer ganz besonderen Überempfindlichkeit angekommen (möglicherweise ausgelöst von der Tatsache, dass man ihm den Platz am Ende des Podiums zugeteilt hatte), während Rand Paul offensichtlich auf einer Klinge fulminanter Rage balancierte. Ihr Wortwechsel war sicher einprägsamer als der Anderer, obwohl Paul an letzter Stelle der Redezeit stand und Christie die drittletzte Stelle einnahm.

Bulldoggen treten mit Vorliebe schon einmal anderen Fokus-Gruppen Teilnehmer vor ’s Schienbein und sorgen gerne rundum für Unruhe. Sie sind angriffslustige Querdenker und können die Atmosphäre im Raum schnell vergiften, je nachdem auf welche Persönlichkeiten ihre Konfrontationen abzielen. Moderatoren aufgepasst: auch Sie können zum Ziel werden, wenn die Möglichkeit, ein Opfer in der Gruppe zu finden zu gering ist.

Moderatoren sollten Bulldoggen so schnell wie möglich in der Gruppe identifizieren und darauf vorbereitet sein, wenn das störende Verhalten anhält oder gar schlimmer wird. Vermeiden sollte man den Ausschluss der Bulldogge aus der Gruppe als erste Reaktion. Der Moderator kann die Situation möglicherweise klein halten, indem er den Teilnehmer zeitweise mit einer „Nebenrolle“ beschäftigt oder Fragen an Andere stellt. Bedenken Sie, dass Meinungsverschiedenheiten eine gute Sache innerhalb der Gruppen sind, solange die Kommunikation fair und ruhig verläuft.

#4: Der Darsteller (Schauspieler) – John Kasich

Ohio’s Gouverneur Kasisch muss geglaubt haben, dass Weihnachten und Ostern gleichzeitig stattfand, als er hörte, dass die Debatte nicht nur in seinem Buckeye State, sondern auch noch im Zuhause seines geliebten und fanatisch unterstützten Cleveland Cavaliers Basketball Teams stattfinden würde. Die Atmosphäre einer riesigen Fan-Veranstaltung, die dadurch entstand, erzeugte bei Kasisch ein dauerhaftes breites Lächeln von Ohr zu Ohr. Er spielte mit der Menschenmenge bei jeder Gelegenheit.

Auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass ein Teilnehmer in einer Gruppendiskussion einen speziellen „Heimvorteil“ bei einer Diskussion hat – Darstellern begegnet man immer wieder, denen nur zu gut bewusst ist, wer hinter dem Einweg-Spiegel sitzt. Ihre Insights und Aktionen sind direkt an die Zuschauer gerichtet und werden vermutlich auch dadurch beeinflusst. Sie sprechen eher aus was ihrer Ansicht nach der Auftraggeber hören will und nicht was sie wirklich denken.

Moderatoren sollten die Aufmerksamkeit von den unsichtbaren Zuschauern ablenken und den Darsteller auffordern sich an die anderen Teilnehmer zu richten. Möglicherweise verliert dieser das Interesse, wenn man ihm die Bühne nimmt. Geben Sie ihm den Beifall, den er ersehnt, wenn er einen Solchen verdient hat. Wenn der Teilnehmer weitere Fragen stellt z.B. „Welches Produkt ist es?“, „Es handelt sich um die Marke X, nicht wahr?“, dann antworten Sie mit einer Rückfrage „Welches Produkt glauben Sie, ist es?“ oder „Wenn es die Marke X wäre, wie würde sich das auf Ihre Sichtweise auswirken?“.

#5: Das Mauerblümchen – Mike Huckabee

Andere Zuschauer mögen mir vergeben, wenn sich mir das Gefühl aufdrängte, dass Huckabee bis fast zum Ende der Debatte eher auf der Zuschauertribüne saß. In den 80 Minuten ergriff er nur zweimal das Wort. Seine letzten Kraftanstrengungen sich doch noch einzubringen waren dürftig und kamen entschieden zu spät. Da seine leisen, insgesamt gefälligen Beiträge der Kampagne keinen größeren Schaden zufügten, blieb er unauffällig im Schatten der dominanteren Kandidaten.

Die introvertierten Teilnehmer einer Gruppe, die Mauerblümchen, sind meistens angenehm und zurückhaltend und zeigen mitunter auch ein eher untergeordnetes Verhalten. Es gestaltet sich manchmal schwierig ihnen mehr als ein paar Worte zu entlocken. Mauerblümchen sind bevorzugte Ziele für Bulldoggen, die ihnen schnell das bisschen Selbstsicherheit mit einer abschätzigen Bemerkung zertrümmern und sie vor dem Rest der Gruppe zum Schweigen bringen. In der Folge sind sie entmutigt und fühlen sich den Superstars und den Hirnen gegenüber unterlegen.

Moderatoren sollten der Gruppe bereits zu Beginn die Botschaft übermitteln, dass es grundsätzlich keine richtigen oder falschen Antworten gibt. Alle Meinungen sind wertvoll und müssen nicht rational begründet werden. Richten Sie an solche Personen direkte Fragen, um sie in die Diskussion einzubinden, aber tun sie dies behutsam. Forschen Sie nach den kleinen, wertvollen Insights, die Mauerblümchen oft erst nach einer geraumen Zeit reiflicher Überlegung äußern. Oft sind darunter genau die Zitate und Kommentare, nach denen Kunden und Analysten suchen.

#6: Der Hochstapler – Ben Carson

Nach politischen Gesichtspunkten war es eigentlich von Anfang an klar, dass Dr. Carson der am wenigsten qualifizierte und überzeugende Kandidat war. Seine akademischen und literarischen Auszeichnungen reichten trotz seiner Bemühungen nicht aus, um vom Gegenteil zu überzeugen. Carsons stärkster Moment war sein fertiges Skript: ein für die Bühne arrangiertes Schlussplädoyer.

Nicht in allen Gruppen findet sich ein Hochstapler. Falls doch, kann das sehr schwierig sein, zumal dann, wenn dieser auch noch dominant oder störend einwirkt. Er mag bei der Rekrutierung nicht die Wahrheit gesagt haben, um sich zu qualifizieren oder er hat seine Kompetenz und Erfahrung im Zusammenhang mit der Anforderung übertrieben zu seinen Gunsten dargestellt. Bestenfalls fühlt sich der Hochstapler überfordert und bleibt ein angenehmer Teilnehmer ohne Nennenswertes oder Neues beizutragen. Schlimmstenfalls überkompensiert er und richtet durch unglaubwürdige Kommentare Schaden an.

Moderatoren sollten potentielle Hochstapler im Auge behalten. Eine Vorstellungsrunde ist eine gute Möglichkeit, solche Teilnehmer früh zu identifizieren und ihre Relevanz für die Diskussion und die Studie einzuschätzen. Wenn mehr Teilnehmer als nötig rekrutiert wurden (was Best Practice sein sollte), sollte es Kunden und Moderatoren möglich sein, weniger qualifizierte Kandidaten noch vor der Gruppenbildung auszuschließen. Einen passiven Hochstapler sollte man von der Diskussion möglichst fernhalten und seine Insights bei der Analyse verwerfen. Bringt sich der Hochstapler allerdings zu sehr ein und versucht auch Führung zu übernehmen, sollten Sie erwägen ihn ohne allzu großen Aufhebens vor der Gruppe auszuschließen (ein probates Mittel ist da ein Telefonanruf für ihn an der Rezeption).

Alles ist Moderation

Die Debatte war nicht nur eine Studie zur Typologie von Marktforschungsteilnehmern, es war auch eine Studie über mögliche Fehler des Marktforschers bei der Ausgestaltung und Moderation von Gruppen. Es geht nicht darum die Bemühungen der drei Fox News Kommentatoren herabzusetzen. Dies war eben keine Fokus-Gruppe und die Moderatoren haben einen guten Job mit ihren kritischen, oft unangenehmen Fragen an die Kandidaten gemacht. Dennoch: das Unvermögen, die Veranstaltung in eine aktuelle Debatte zu verwandeln und die diversen Persönlichkeiten in ihrer Darstellung zu kontrollieren, war ihr wesentlicher Schwachpunkt. Megyn Kelly wand sich aus Donald Trumps dreisten Kommentaren über Frauen. Chris Wallace mühte sich die dröhnende Stimme und Rhetorik von Rand Paul im Zaum zu halten. Bret Baier begnügte sich mit eindimensionalen Qs&As.

Ein effektiver Moderator überlässt die Diskussion den Teilnehmern und beschränkt sich auf die Kontrolle des Verlaufs. Wie die Kinder des 19. Jahrhunderts, die man sah aber nicht hörte (zumindest meistens). Eines der Probleme, denen die Moderatoren der GOP Debatte ausgesetzt waren, war das Format. Erfolgreiche Fokus-Gruppen entstehen aus der Interaktion zwischen den Teilnehmern – hingegen war diese Debatte eine Serie von 10-minütigen Einzelinterviews mit wenig Austausch zwischen den Kandidaten. Einer zusätzlichen Herausforderung stand das Moderatoren-Team mit der Anzahl von 10 Kandidaten gegenüber. Zu viele Köche, die im Brei rührten und das bei zu wenig Zeit. Das Resultat: der Brei verbrennt! Wir raten unseren Kunden von Gruppen mit mehr als 8 Teilnehmern ab. Die Kontrolle gestaltet sich als äußerst schwierig und es besteht nicht mehr genug Gelegenheit zu einem individuellen Beitrag eines jeden Teilnehmers.

Es bleibt jetzt abzuwarten, welche Persönlichkeit sich aus der ersten „Republikanischen Präsidentschafts Fokus-Gruppe“ für die nächste Etappe qualifiziert. 12 Runden mit Hillary Clinton (die ich übrigens zur einen Hälfte als Superstar und zur anderen Hälfte als Bulldogge klassifizieren würde) – liebe Moderatoren, dafür könnte man sich noch hinter den Einweg-Spiegel wünschen.

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