Amos Tversky und Daniel Kahneman stoßen auf ihre Zusammenarbeit an von Vanity Fair (CC BY 2.0) Eine Buchempfehlung von Claudia Knod
Angesichts der zunehmenden Verbreitung von alternativen Fakten und Fake News sehnen wir uns immer stärker nach der Wahrheit. Was ist wahr? Wie kann ich es herausfinden? Wem kann ich vertrauen?
Soeben ist die deutsche Übersetzung von Michael Lewis’ jüngstem Buch “The Undoing Project. A Friendship that changed the world” erschienen (“Aus der Welt: Grenzen der Entscheidung oder Eine Freundschaft, die unser Denken verändert hat“, in der Übersetzung von Jürgen Neubauer und Sebastian Vogel). Es handelt von der peniblen, ja kompromisslosen Suche nach Fakten und nach Wahrheit und – fein säuberlich getrennt davon – deren Interpretation.
Das Buch erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen den beiden genialen Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman. 2002 – Tversky war 6 Jahre zuvor gestorben – erhielt Kahneman den Wirtschaftsnobelpreis für ihre gemeinsamen Studien über das menschliche Entscheidungsverhalten.
Tversky’s und Kahneman’s Arbeiten über die Wirkung von Heuristiken auf unser Urteil und unsere Entscheidungen haben die Grundlagen dafür gelegt, was wir heute Verhaltensökonomik nennen. Sie fanden heraus, dass sich Menschen häufig sehr irrational verhalten und gleichzeitig glauben, sehr rational vorzugehen. Die beiden verfassten in den Siebziger Jahren gemeinsam die Aufsätze, die eine ganze wissenschaftliche Disziplin revolutionieren sollten. War doch die Ökonomie bis dahin vom Homo Oeconomicus ausgegangen, einem Wesen, das stets vernünftig auf der Basis sorgfältig abgewogener Fakten handelt. Auf diesem Modell des steten Nutzenoptimierers beruhte die gesamte klassische Nationalökonomie.
Im Gegensatz dazu erkannten Tversky und Kahneman, dass der Mensch eben kein intuitiver Statistiker ist, sondern dass er – im Gegenteil – Geschichten braucht, um entscheiden zu können. Die Krux liegt darin, dass die Art, wie die Geschichte erzählt wird, einen enormen Einfluss auf die Entscheidungsfindung hat.
In einem der Experimente präsentierten die beiden den Probanden folgende Situation: eine Population von 600 Menschen ist von einer tödlichen Epidemie befallen. Zwei verschiedene Impfprogramme wurden vorgestellt: Das ersten Programm (A) versprach 200 Menschenleben zu retten. Das zweite Programm (B) versprach, zu einer 1/3-Wahrscheinlichkeit alle Menschenleben zu retten und zu einer 2/3-Wahrscheinlichkeit alle Menschen sterben zu lassen. Überraschenderweise, entschieden sich der klare Großteil der Teilnehmer für Programm A – die risikoarme Variante – statt ein Wagnis einzugehen und eventuell drei Mal so viele Menschenleben zu retten.
Die Entscheidung der Teilnehmer beruhte ausschließlich auf der Art und Weise, wie das Programm vorgestellt wurde. Wird das Programm nämlich positiv dargestellt, als Gewinn, hat es weit größere Chancen präferiert zu werden auch wenn es objektiv das schlechtere Programm ist. Im Gegensatz dazu wird ein Programm, das in einem negativen Kontext oder als Verlust dargestellt wird weniger häufig gewählt, egal wie gut oder schlecht es ist. Die reinen Fakten spielen jedenfalls keine Rolle bei der Entscheidungsfindung.
Dieses Experiment macht deutlich, warum Tversky und Kahneman so erpicht darauf waren, stets die Fakten und deren Interpretation zu trennen. Kommen wir zurück auf die eingangs erwähnten Fake News und die alternativen Fakten. Diese sind meistens lediglich eine andere Art der Interpretation der Wahrheit, ein anderes Narrativ. Wachsamkeit ist also geboten. Auch als Marktforscher sollten wir niemals nachlassen wachsam zu sein. Wir müssen uns stets fragen, ob der Teilnehmer uns seine Interpretation gegeben hat und – falls wir dies vermuten – müssen wir tiefer explorieren um zu den Fakten und zur Wahrheit zu gelangen.
Leser unseres Blogs wissen, dass wir an dieser Stelle nicht das erste Mal über das Thema Verhaltensökonomik schreiben. Tatsächlich ist es sogar eines unserer Lieblingsthemen. Interessierte Leser können zum Beispiel ein Toolkit und eine Infografik herunterladen:
Behavioural Economics Toolkit (englisch) Infografik