Eine kritische Betrachtung aus der Sicht des Neuromarketing
Der Net Promoter Score (NPS), auch Promotorenüberhang genannt, hat sich in den letzten Jahrzehnten als bekannteste und am weitem verbreitete Kennzahl für die Messung der Kundenloyalität eingebürgert. Kundenzentrierte Unternehmen nutzen den NPS als Benchmark um ihre eigene Leistung langfristig zu bewerten und sich branchenintern mit dem Wettbewerb zu messen. Aufgrund seiner angenommenen Belastbarkeit wird der NPS mittlerweile von vielen Firmen als alleinstehende Messzahl der Kundenloyalität genutzt.
Doch eignet sich die Frage „Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Unternehmen/Marke X einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen werden?“ eigentlich zur allumfassenden Bewertung? Und gibt es weitere Ansätze, die uns dabei helfen können die Kundentreue zu erfassen und die zukünftige Kaufwahrscheinlichkeit vorherzusagen?
In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die Loyalität eines Kunden zu einer bestimmten Marke neben externen Faktoren ebenfalls erheblich durch neuronale Prozesse und Emotionen beeinflusst wird. Betrachten wir das Thema Kundenloyalität also aus der Sicht des Neuromarketing, können wir neue Erkenntnisse zum Thema Loyalität gewinnen und so den Einsatz des NPS in der Marktforschung ergänzen.
Doch was genau ist Loyalität? Loyalität beschreibt treues, zustimmendes und unterstützendes Verhalten einer Person, in diesem Fall eines Kunden, gegenüber einer anderen Person oder Gruppe, in diesem Fall einer Firma oder Marke. Marktforscher nutzen also den NPS, um die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kunde einer bestimmten Firma / Marke treu bleibt, zu bestimmen. Doch die Definition von Loyalität im traditionellen NPS Sinn stellt einen hohen Anspruch an die Metrik dar, die angeblich alle Aspekte der Loyalität abzudecken vermag. Viele Wissenschaftler behaupten, Loyalität sei kein alleinstehendes Konzept ist, sondern vielmehr ein Konstrukt verschiedener Kundeneinstellungen, -meinungen und Verhaltensmuster.1 In Anbetracht dessen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Loyalität mit nur ein oder zwei Fragen messen lässt sehr minimal. Vielleicht sollten wir uns eher fragen, welche Faktoren die Entscheidung loyal zu sein beeinflussen.
Handlungspläne allein auf Basis des NPS Scores und einiger offener Folgefragen („Warum sagen Sie das?“) zu entwickeln ist, aufgrund der Komplexität des Prozesses von Entscheidungsfindungen, nicht leicht. Dazu ein Beispiel: Einer der von Kunden am häufigsten genannten Gründe für ihre Abwanderung zum Wettbewerb ist der angeblich zu hohe Preis. Doch Forscher konnten anhand einer Vielzahl von Studien feststellen, dass eine Preissenkung in solchen Fällen keineswegs zu einer höheren Kundenloyalität und der Verbesserung des NPS führt, sofern der Kunde nicht ohnehin schon dem Unternehmen loyal gegenübersteht. 2
Stattdessen konnten Forscher feststellen, dass eine viel stärkere Korrelation zwischen dem vom Kunden wahrgenommen Produktwert und dem NPS besteht. Laut neuester Forschungsergebnisse scheint der NPS die vielen Facetten der Kundenloyalität also nicht ausreichend zu erfassen.
Neueste Erkenntnisse des Neuromarketing
Doch welche Faktoren führen nun zur Loyalität? Die Neurowissenschaften und das Neuromarketing haben der Marktforschungswelt in den vergangenen Jahren einige neue Einsichten geliefert, die zur Weiterentwicklung verschiedener Forschungsmethoden führten. Besonders interessant für die NPS-Debatte sind die neuesten Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen positiven und negativen Emotionen und der Kundenloyalität. Neurowissenschaftler fanden heraus, dass Kunden bei emotionaler Erregung besonders anfällig für externe Faktoren sind, die die Loyalität beeinflussen können. 3
Die gefühlsbestimmte Zufriedenheit könnte also durchaus als solide Vorhersage für das zukünftige Loyalitätsverhalten gewertet werden – vielleicht sogar noch besser als das auf Basis kognitiver Bewertungen möglich ist. Hierbei dient die Qualität des Kundenservice zum Beispiel als externer Faktor, der das Loyalitätsverhalten durch eine starke emotionale Reaktion beeinflusst, sei sie nun positiv oder negativ.
Zum Zusammenhang zwischen Emotionen und Kundenloyalität haben Forscher ebenfalls festgestellt, dass es bestimmte neuronale Verknüpfungen gibt, die mit der Loyalität in Verbindung stehen. Loyale Kunden entwickeln eine tiefe affektive Bindung mit dem jeweiligen Unternehmen. 4 Diese Bindungen entstehen, wenn dem Kunden die Gelegenheit geboten wird ein Unternehmen auch emotional zu erleben. Obwohl die emotionale Kundenbindung in B2B-Märkten oft etwas schwerer erscheint, kann dieser emotionale Moment über Kleinigkeiten, wie z.B. der Personalisierung eines Nutzerprofils oder durch den persönlichen Kontakt mit einem Vertriebsmitarbeiter, gelingen.
Fokussieren sich B2B-Unternehmen also darauf, eine möglichst emotionale Bindung zu ihren Kunden aufzubauen, wird es ihnen gelingen wahre Loyalität, sowohl in der Einstellung als auch im Verhalten, aufzubauen. Die emotionale Bindung lässt sich sogar physiologisch nachweisen. Hirnscans zeigen, dass bei den wahren treuen Kunden die Kaufentscheidung auf emotional gesteuerten Wegen im Kortex getroffen wird und dies im Gegenzug bei weniger treugesinnten Kunden nicht der Fall ist. 4
Bei treuen Kunden kann die Entscheidung für eine bestimmte Marke mühelos und bei geringer Hirnaktivität fallen, während weniger treue Kunden einen Entscheidungsprozess durchlaufen müssen, der sich buchstäblich im Gehirn beobachten lässt. Schade nun, dass es leider nicht gerade praktikabel ist einen Hirnscan jedes Studienteilnehmers durchzuführen. Theoretisch wäre das eine sehr genaue Möglichkeit die wahre Kundenloyalität zu erfassen. Als Marktforscher müssen wir uns wohl damit zufriedengeben, unsere Fragen und Metriken mit Hilfe neuronaler Erkenntnisse bestmöglich zu formulieren.
Die Rolle externer Faktoren
Bei der Beurteilung neuronaler Korrelaten in Verbindung mit Loyalität müssen wir auch die Rolle externer Faktoren, wie den Preis und das Produkt, selbst miteinbeziehen. Für den wirklich treuen Kunden kann der pure Anblick des Markenlogos bereits das Belohnungszentrum des Gehirns aktivieren, was bei dem nicht-loyalen Kunden nicht erfolgt. Dieser Kunde wird in seiner Entscheidung eher durch den Preis des Produktes oder der Dienstleistung beeinflusst.4 Obwohl auch loyale Kunden ein breites Angebot von Produkten aufmerksam betrachten 5, zeigt sich bei ihnen aber eine gleichzeitige Aktivierung verschiedener Regionen im frontalen Kortex, deren Zuständigkeit zum einen die emotionale Einschätzung betrifft und zum anderen auch jenen Bereich der die Vor-Kauf-Abwägungen trifft, was uns vermuten lässt, dass ihre Loyalität über Emotionen gesteuert wird. Affekte von Kunden in die Befragungen mit einzubeziehen, könnte ein Weg für die B2B Marktforschung sein, tieferen Einblick in die von Emotionen ausgelöste Loyalität zu gewinnen.
Ein Vorschlag einer Frage, die geeignet wäre zusätzlich zu dem NPS auch die Emotionen einzufangen, ist:
“Wenn Sie jetzt einmal über Ihre allgemeinen Beziehungen zu [MARKE] nachdenken, wie positiv und angenehm ist Ihre gefühlsmäßige Einstellung zu dieser [MARKE]? Bitte bewerten Sie dies auf einer Skala von 0-100 wobei 0 als kalt gilt und für sehr negative Gefühle steht und 100 heiß darstellt und ganz besonders positive Gefühle repräsentiert.”
Solche oder ähnliche gefühlsbezogene Fragestellungen in unsere Untersuchungen einzubauen, erlaubt uns erweiterte Einsichten in die Emotionen der Kunden zu gewinnen und hilft uns entsprechende Übereinstimmungen mit den gemessenen Werten zur Loyalität aus dem NPS zu erkennen.
Neue Messkriterien zur Bewertung der Loyalität
Die Evaluierung der Loyalität durch das Neuromarketing zeigt die Tiefe auf, aus der wahre Loyalität entspringt, und weist dabei gleichzeitig auf die doch eher oberflächliche Natur der NPS-Metrik in diesem Zusammenhang hin. Die Wissenschaft zeigt uns, dass Loyalität eben doch vielschichtiger ist als gedacht und aus vielen Facetten besteht.
Bild 1: Neuronale Aktivierungen und Emotionen steuern sowohl die verhaltens- als auch die einstellungsbezogene Loyalität
Die Loyalität wird über Emotionen und deren assoziierte Korrelaten unmittelbar beeinflusst (Bild 1), die häufig in der B2B-Marktforschung übersehen werden. Um bestmögliche Ergebnisse in unseren Studien erzielen zu können, sind wir gehalten existierende Metriken kontinuierlich zu hinterfragen und aufgeschlossen für neue Messkriterien bei der Bewertung von Loyalität zu sein. Nur so werden sich uns Möglichkeiten für einen tieferen Einblick und weitere Informationen auftun.
- Rundle-Thiele, S., 2005. “Exploring loyal qualities: assessing survey-based loyalty measures.” Journal of Services Marketing, 19(7), pp.492-500.
- Yang, Z. and Peterson, R.T., 2004. “Customer perceived value, satisfaction and loyalty: The role of switching costs.” Psychology & Marketing, 21(10), pp.799-822.
- Martin, D., O’neill, M., Hubbard, S. and Palmer, A., 2008. “The role of emotion in explaining consumer satisfaction and future behavioural intention.” Journal of Services Marketing, 22 (3), pp.224-236.
- Plassmann, H., Kenning, P. and Ahlert, D., 2007. “Why companies should make their customers happy: The neural correlates of customer loyalty.” ACR North American Advances.
- Schaefer, M. and Rotte, M., 2007. “Favorite brands as cultural objects modulate reward circuit.” Neuroreport, 18(2), pp.141-145.
- Lin, C.H., Tuan, H.P. and Chiu, Y.C., 2010. “Medial frontal activity in brand-loyal consumers: A behavior and near-infrared ray study.” Journal of Neuroscience, Psychology, and Economics, 3 (2), p.59.
- DeWitt, T., Nguyen, D.T. and Marshall, R., 2008. “Exploring customer loyalty following service recovery: The mediating effects of trust and emotions.” Journal of Service Research, 10 (3), pp.269-281.